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Rezension zu „Brüste und Eier“ von Mieko Kawakami

Front- und Rückencover des rezensierten Buches

Mieko Kawakami erzählt in diesem Buch Teile der Lebensgeschichte Natsukos. Mit 30 Jahren lebt diese alleinstehend als erfolglose Schriftstellerin in Tokio. Von Selbstzweifeln geplagt, beginnt sie den Sinn ihres Daseins zu hinterfragen.

In sozial benachteiligten und traumatisierenden Verhältnissen groß geworden, hat dies die Beziehung zu Makiko, ihrer älteren Schwester, zu einer sehr Vertrauensvollen heranwachsen lassen. Die beiden sind einander seelische Stützen. Makiko, die früh Mutter geworden ist, ist mit dem Raster, in das sie ihr Frausein und ihren Frauenkörper gezwängt fühlt, ebenso überfordert wie Midoriko, ihre Tochter. Diese – mittlerweile eine Teenagerin – kann durch ihre Überforderung über das Heranwachsen in ein normiertes Frauenbild nur noch schriftlich mit Mutter und Tante kommunizieren.

Der eher reißerisch anmutende deutsche Titel des Buches „Brüste und Eier“ suggeriert uns die Thematik der Lektüre, denn ja, es geht u.a. um Makikos Brüste und um Natsukos Eizellen. Der japanische Originaltitel „Sommererzählungen“ kommt hingegen sehr unschuldig daher und dennoch beobachten wir Natsuko genau dann: in zwei Sommern, die acht Jahre auseinander liegen. In dieser Zeit wächst der Kinderwunsch Natsukos, während sie gleichzeitig ihre Asexualität immer mehr annimmt. Das Thema Samenspende wird sehr präsent in ihrem Leben. Sie möchte ihr eigenes ungeborenes Kind kennenlernen, hinterfragt aber gleichzeitig ob man mit der Schuld leben kann, einen Menschen in diese Welt geboren zu haben, der hier vielleicht nicht sein will, der das Leben nicht als Geschenk empfindet und nicht gerne lebt. Wir haben daran teil, wie Druck und das Wertesystem der japanischen Gesellschaft Leben prägen, beeinflussen und lenken können.

Im Buch stößt man immer wieder auf erstaunlich ungewöhnliche Szenen, die die Schablonen in vielen Köpfen – die der Verfasserin dieser Rezension ebenfalls, so viel sei gesagt – als verwunderlich, gar als absurd abstempeln mögen. Unsere gesellschaftlichen Filter, die Vieles als unaussprechlich definieren, horchen erschrocken auf, bis sie zu dem Schluss kommen müssen, dass sie lange nichts mehr gelesen haben, was so authentisch ist. Wir erleben wie selbstbestimmt ein weibliches Leben in Japan sein kann, wo diese Selbstbestimmtheit an ihre Grenzen stößt und welcher Doppelmoral sie oft ausgesetzt ist.

Das Buch ist so unkonventionell geschrieben, dass es eigentlich schon als herrlich normal beschrieben werden muss. So kommt das komplette Spektrum an Emotionen zum Vorschein, ohne dass der Traurigkeit, dem Hass oder dem Mitleid eine absolute und einnehmende Negativität übergestülpt werden muss. All diese Emotionen dürfen in den Sätzen und Geschichten einfach vorhanden sein – ein sehr erleichterndes Leseempfinden.

Es geht um seelische Kämpfe mit dem eigenen Schicksal, dem eigenen Erscheinen, eingebettet in eine Kultur, die trotz aller nach außen schillernden Buntheit und allem technischen Fortschritt, sehr traditionsbewusst und patriarchalisch geprägt ist.

Eine absolute Leseempfehlung für all diejenigen, die eigene Denkmuster und gesellschaftliche Stigmen gerne hinterfragen.

Anna Schares, Ausbildungsleitung der Stadtbibliothek Charlottenburg-Wilmersdorf

Informationen zu Buch

Cover des rezensierten BuchesTitel: Brüste und Eier
Autor*in: Mieko Kawakami
Verlag: Dumont
ISBN: 978-3-8321-8373-8

Signatur Buch: Aktuelle Romane Roman Kawa
Link: https://www.voebb.de//aDISWeb/app?service=direct/0/Home/$DirectLink&sp=SPROD00&sp=SAK34435664
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